Oct 062011
[caption id="attachment_1083" align="alignleft" width="320" caption="Hochebene von Erzurum"][/caption]
Mit größeren Schritten lasse ich die Zentraltürkei hinter mir, um meine letzten Tage im Nordosten des Landes zu verbringen. Es wird zunehmend kälter und ich fahre bereits mit all meinen verfügbaren Wärmeschichten. Erzurum, eine der größten Städte des Ostens liegt auf 1900 Meter Höhe und fühlt sich mit Nachttemperaturen von -5 bereits sehr winterlich an. Die gesamte Hochebene liegt auf über 1800 Meter und ständig bläst ein unangenehmer und eisiger Wind derart kräftig über die Felder, dass ich permanent das Motorrad in Schräglage halten muss, um geradeaus zu fahren.
[caption id="attachment_1088" align="alignleft" width="320" caption="auf der Straße von Erzurum nach Yusufeli 3"][/caption]
Trotz der Gebirgsimpressionen der vergangenen Tage schafft es die Landschaft auf der Fahrt von Erzurum nach Yusufeli, mich nochmals zu beeindrucken. Die Straße schneidet sich durch tiefe Steinschluchten mit steil aufragenden Wänden. Hin und wieder gibt es alte georgianische Burgen, Kirchen und Wasserfälle. Yusufeli liegt tief eingebettet an einem fürs Wildwasserrafting bekannten Fluss und bietet ein günstiges Ambiente um zwei Tage innezuhalten, Klamotten zu waschen und das Motorrad zu warten.
Die niedrige Lage Yusufelis im Tal beschert dem sympatischen Städtchen zwar ein angenehmes Klima, ist allerdings auch für den zukünftigen Untergang (im wahrsten Sinne des Wortes) verantwortlich. Wie in anderen Fällen (z.B. der Van See) wird auch hier ein riesiger Stausee entstehen, der nach Fertigstellung Yusufeli unter den Wassermassen begraben wird. Die Stimmung ergreift mich. Alles was ich hier sehe, alle Häuser, die gewachsene Gemeinschaft, das soziale Gefüge, die Geschichte und die Erinnerungen, werden in Zukunft begraben sein und vermutlich unwiderruflich verschwinden. Ich streichele ein zutrauliche Katze und frage mich, ob sie eines Tages mitgenommen oder ertrinken wird. Dennoch wird im Ort fleissig gebaut was das Zeug hält und es entstehen teils häßliche Neubauten neben den alten Dorfhäusern, denn wenn der Damm eröffnet (bzw. geschlossen) wird, werden die Bewohner entsprechend entschädigt werden. Es entstehen vollwertige Neubauten, die aller Vorraussicht nach nur wenige Jahre genutzt werden, bevor sie in den Fluten verschwinden. Wenn man die Hintergründe kennt, fühlt sich das emsige Treiben sehr seltsam, geradezu apokalyptisch an. Ein dem Untergang geweihtes Leben in dem alle vom Bäcker zum Cafebesitzer nur darauf warten, den Schlüssel ein letztes Mal im Schloss zu drehen.
[caption id="attachment_1092" align="alignleft" width="320" caption="Straßenbau für den Damm"][/caption]
Umso aufemrksamer studiere ich das zu flutende Tal bei meiner Ausfahrt Richtung Norden. Hoch über mir wird eine neue Straße mit riesigem Aufwand gebaut, um die durchs Tal am Fluß entlang führende zu ersetzen. Die Kosten müssen enorm sein, denn die Straße wird in windiger Höhe in den steilen Felsen durch den Bau von Brücken und Tunneln geradezu in den Berg gezwungen. Häuser und kleine Siedlungen sind größtenteils bereits verlassen und das Gefühl, dass ich vermutlich nie wieder hier entlang fahren werde können, ist bedrückend. Am Ende steht er vor mir. Ein riesiges Betonungetüm, dass sich wie ein Riegel durchs Tal schiebt. Ein nahezu fertiggestellter Staudamm, der enorme Mengen Energie produzieren wird. Die menschlichen und landschaftlichen Verluste sind jedoch irrsinnig hoch. Die Kosten eines Staudammes, insbesondere die Nichtfinanziellen, habe ich so noch nie erkannt und schon gar nicht gespürt.
[caption id="attachment_1095" align="alignleft" width="320" caption="Zweckstädte im Berg"][/caption]
Was man auch sieht, sind die künstlichen Zweckstädte, die hoch genug in die Berge gebaut werden, um die Bewohner aus dem Tal, wie bald auch die Yusufelis, aufzunehmen. Ohne Herz und Charakter verschandeln sie den Blick und der Gedanke, dass mein liebenswerter älterer Pensionsvater mit seiner Frau, die offensichtlich einen Großteil ihres Lebens in das Haus gesteckt und mit Fleiß und Liebe einen besonderen Ort geschaffen haben, in ihrem hohen Alter in eine solche Neubauburg umgesiedelt werden, treibt mir beinahe die Tränen ins Gesicht. Finanziell wird es keinem schlechter gehen, aber man nimmt Ihnen die Identität. Mit traurigem Herzen verlasse ich die Türkei.
Ein paar abschließende Gedanken seien ihr aber noch gegönnt.
Ich komme nicht umhin in meinem letzten Türkeibeitrag ein paar Worte über die türkische Teekultur zu verlieren. Schwarzen Tee gibt es hier zu jeder Tageszeit, jedem Essen und auch dazwischen. Gereicht wird er in kleinen geschwungenen Gläsern und meist mit zwei Stücken Zucker (es sein denn es steht ein Gefäß mit Zuckerwürfeln auf dem Tisch). Es ist Das soziale Getränk der Türken und steht quasi auf jedem Tisch in den typischen (nur von Männern besuchten) Teehäusern. Fast alle sehen übrigens genauso wenig einladend und mit Neonröhren beleuchtet aus, wie man das auch aus Berlin kennt. In der Regel wird automatisch ein neues Glas gebracht, sobald eines ausgetrunken ist, zumindest aber wird umgehend nachgefragt. Allgemeingültig ist auch der Preis. Einen halben Lira (ca. 20 Cent) kostet ein Glas Tee im ganzen Land. Für diesen Preis (von mir aus auch das Doppelte) würde ich auch in Deutschland häufiger Tee trinken, aber aus irgend einem Grund haben sich deutsche Kaffees und Kneipen entschlossen dass billigste Getränk derart rücksichtslos zu überteuern, dass man es eigentlich nicht guten Gewissens bestellen kann.
Die Gastfreundschaft der Türken ist ebenfalls unbedingt hervorzuheben. Auf meiner Fahrt in den Norden halte ich in der Stadt Kovancilar und mache in einer Teestube Rast, um mich mit einem Glas aufzuwärmen. Der benachbarte Bäcker, der einige Zeit in Deutschland verbracht hat, als auch ein Obsthändler mit östereichischem Akzent gesellen sich schnell dazu und fragen mich aus, bzw. übersetzen für die anderen. Alle sind sehr interessiert und studieren meine Route auf der Karte. Ich schüttele viele Hände und fahre am Ende mit Brot, etwas Obst und 2 getrunkenen Gläsern Tee weiter, ohne einen Lira bezahlt zu haben. Solche Vorkommnisse sind keine Ausnahme.
[caption id="attachment_1085" align="alignleft" width="320" caption="Kaddif"][/caption]
Kulinarisch gibt es ebenfalls nix zu meckern. Wenngleich mir als Vegetarier eine erheblich geringere Auswahl an Speisen zur Verfügung stehen, so hatte ich doch nie Probleme Leckeres zu finden. Yogurt- und Linsensuppen sind hervorzuheben und häufig steht man vor einer großen Auswahl an Pasten und Bohnen, Weinblättern und allerlei Salaten, die frei kombinierbar auf einem Teller zusammengestellt werden können. Brot und Wasser gibt es frei dazu. Auf der süßen Seite findet man in der Türkei, ähnlich den bekannten Beispielen in Prag oder Wien, Kaffe(eigentlich Tee)häuser in elegantem Ambiente. Zur Auswahl stehen hier allerdings in erster Linie etliche Baklavavarianten und Honigkreationen. Ich habe viel probiert und fast alle geliebt.
Auch nach drei Wochen Türkei konnte ich natürlich nur einen Strich durch die Karte ziehen und habe vieles nicht sehen können. Die gesamte mediterane Küste etwa, oder den Südosten und Osten. Von Istanbul bis weit in den Osten ist die Türkei ein einfaches, sehr vielseitiges und erlebenswertes Reiseziel und nicht ohne Grund eines der beliebtesten Reiseländer der Deutschen, mit genug Platz, um fast vollkommen an der Tourismusindustrie vorbeizuurlauben, falls gewollt.
Ich bin mittlerweile in Georgiean angekommen, aber dazu mehr im nächsten Beitrag. Soviel vorweg, es ist wiedermal alles ganz ganz anders!
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Hallo, bin ebenfalls seit einer Woche ausserhalb Deutschlands, aber in einem warmen, sicheren und behueteten Land, jedoch nicht mit so vielen Abenteuern bestueckt. Hatte etwas angst in deinem Blogg weiterzulesen…. Jedoch war es wieder spannend, aber nicht ohne Schweissausbrueche. Ich druecke dich ganz doll.
nachdem wir die Türkei einmal ganz anders als allgemein bekannt erlebt haben und Du offensichtlich mit dem Motorrad einen treuen und zuverlasslichen Gefährten hast, freuen wir uns nun auf die Erlebnisse in Georgien. Fahr vorsichtig und sei aufmerksam!
Really sad news about Yusufeli, Migo and the new road, which looks incredibly dramatic during its construction, will become a very ordinary concrete ribbon beside a reservoir.
Safe travels.
Yes I know. It really is sad and especially when you have experieneced the people involved…
Mein Gott ist das eine beeindruckende Landschaft, da möchte man einfach bei dir sein, um das einmal live zu sehen. Es ist schön, dass es dir gut geht, und deine Erlebnisse machen wiedermal richtig Spass. Freu mich auf das nächste skyping mit dir 🙂
Geniess deine Weiterfahrt.