[caption id="attachment_1117" align="alignleft" width="320" caption="Kontraste"]Kontraste[/caption] Herzlich Willkommen in Georgien, sagt der Grenzbeamte auf Deutsch, nach einer denkbar einfachen Grenzüberquerung. Zunächst einmal verblüffen die Unterschiede. Statt Kopftüchern tragen Frauen Stöckelschuhe, statt Gebetsruf tönen Kirchenglocken, aus lateinischen Buchstaben werden Georgische, aus kalt wird warm und aus Lira wird Lari. Die außergewöhnlichste Änderung aber geschieht bei Klima und Vegetation. Man mag es kam glauben, aber als hätte jemand einen Schalter umgelegt, findet man sich plötzlich in subtropischer Umgebung wieder. Palmen säumen den Straßenrand und nach der trockenen Türkei ist es sichtbar grüner und spürbar  feuchter. Die Lage zwischen dem kleinen Kaukasus im Süden und dem großen Kaukasus im Norden und dem schwarzen Meer im Westen bewirkt das milde Klima. Bei gutem Wetter (ich hatte immer gutes) sieht man die schneebedeckten Gipfel der Gebirge am Horizont, während man unter Palmen Schatten sucht. Befindet man sich etwa in der Mitte zwischen Norden und Süden, sieht man zur gleichen Zeit die Schneegipfel des kleinen und des großen Kaukasus. [caption id="attachment_1120" align="alignleft" width="320" caption="Kontraste 2"]Kontraste 2[/caption] Die sowjetischen Einflüsse aus der Zeit der Eingliederung in die UdSSR sind natürlich nicht zu übersehen. Alte Ladas und Wolgas, die ich seit mittlerweile Jahrzehnten nicht mehr gesehen habe, gibt es hier in rauen Mengen genauso wie die scheinbar unzerstörbaren, stinkenden grünen Lastfahrzeuge. Erschreckend trostlose und heruntergekommende Zweckplattensiedlungen findet man ebenso wie heroische, übergroße Heldenstatuen. Georgisch ist die Amts- und Umgangssprache, aber Russisch wird praktisch von allen gesprochen. Zumindest derzeit ist das noch so. Zunehmend weniger Kinder und Jugendliche sprechen Russisch. Meine russischen Schulkenntnisse sind ebenfalls eher begraben als eingestaubt, aber ich bin mehr als überrascht, wie schnell längst verloren geglaubte Begriffe wieder zurück ins Bewusstsein gelangen. Nach wenigen Tagen hat sich bereits genug angesammelt, um einigermaßen zurechtzukommen. Ein riesiger Vorteil gegenüber der Türkei. Ansonsten ist man hier nicht besonders gut auf Russland zu sprechen, das als eine der wenigen Nationen die autonomen Gebiete im Norden Georgiens, Abchasien und Südossetien, anerkannt und unterstützt hat. De Fakto ist Georgien um einiges kleiner, als auf den Landkarten zu sehen ist. [caption id="attachment_1134" align="alignleft" width="320" caption="Fruchtbrot (Nasuki) Verkäufer"]Fruchtbrot (Nasuki) Verkäufer[/caption] Auch die Menschen hier sind völlig anders. Meine Erfahrungen könnten unterschiedlicher nicht sein. Der Service und die Freundlichkeit in Cafes und Hotels ist teilweise derart unterhalb jeglichen Maßstabes, dass es mir manchmal einfach die Sprache verschlägt. Wenn die Kellnerin kommt und mit einer Geste und der zugehörigen Handbewegung ausdrückt "Also willste nun was bestellen oder nich?" oder der Hotelangestellte lieber fern sieht, als mir ein Zimmer zu geben und dann weiter sitzend den Schlüssel so hinhält, dass ich ihn ihm weit über die Theke lehnend aus der Hand nehmen muss, hilft es nicht gerade, um sich willkommen zu fühlen. Auf der anderen Seite habe ich einzigartige, herzensgute und gastfreundliche Menschen getroffen, die selbst meine besten Erfahrungen in der Türkei in den Schatten stellen. Ähnlich verhält es sich mit Leuten auf der Straße bei Fahrpausen. Es gibt den typischen, lässigen, fast immer große Sonnenbrillen tragenden Mann, der mich bewegungslos, abschätzend beobachtet. "Bisnis" steht ihm ins Gesicht geschrieben und ich bin zwar ungewöhnlich, aber letztlich uninteressant. In ländlicheren Gegenden verhält es sich meist anders. Leute kommen interessiert und stellen die üblichen Fragen, "Wie schnell fährt das Motorrad?"  und "Wieviel kostet es?", klopfen mit auf die Schukter und wünschen mir gute Fahrt. [caption id="attachment_1112" align="alignleft" width="320" caption="Batumi"]Batumi[/caption] Fährt man an der Küste aus der Türkei kommend nach Georgien, kommt man nicht umhin in Batumi Halt zu machen. Ein süßes, sich in dynamischer Entwicklung befindendes Städtchen, dass ich auf Anhieb mag. Da Unterkünfte in Georgien tendenziell teurer sind, verbringe ich die Nacht in einem Hostel (als einziger Gast) und geniesse zusammen mit Kim (Kanada), die ich bereits in Yusufeli getroffen hatte und zufällig hier wiedertraf, das Stadtleben und die neue Kultur. Meine freundliche Hostelleiterin sagt mir, ich kann unmöglich Georgien verlassen, ohne Swanetien, eine schwer zugängliche Gebirgsgegend im Norden, gesehen zu haben. Ich höre das nicht zum ersten Mal und entscheide mich, den Umweg zu fahren, wie sich herausstellen sollte, eine der besten Entscheidungen meiner Reise bisher. Auf der Fahrt tiefer und tiefer in die Berge, sind es, neben dem deutlich aggressiveren Verkehr hier, vor allem die Tiere auf der Straße, die höchste Aufmerksamkeit fordern. Kühe, Ziegen, Pferde und Hunde bevölkern zu Hunderten die Straßen. Bei einer Einfahrt in einen der nicht beleuchteten Tunnel auf dem Weg nach Mestia, sehe ich kurz vor Tunneleintritt zwei Silhouetten am Ende des Tunnels. Da man aus dem Licht kommend, so gut wie nichts sieht, fahre ich entsprechend vorsichtig und stosse auf eine Kuh und einen Hund, die in absoluter Finsternis gemächlich auf meiner Spur dem Tunnelausgang entgegen laufen. Super gefährlich! Zwei Tunnel später liegt ein ausgewachsenes, totes Pferd am Fahrbahnrand. Kühe sind im Allgemeinen sehr friedlich und lassen sich durch nichts stören, man fährt einfach im Slalom um sie herum. Aber die Hunde... Für viele der in den Dörfern lebenden Hunde muss ich so etwas wie die Inkarnation des Bösen darstellen. Mit fletschenden Zähnen und maximaler Aggressivität stürzen sie auf die Straße, um mich anzubellen, als gelte es ihre gesamte Rasse vor dem Untergang zu verteidigen. Hunde die bellen, beißen nicht, sagt man, aber wenn man sieht und hört mit welch infernalischer Getriebenheit sie auf einen zukommen, will man sich nicht darauf verlassen.  Meist gebe ich etwas mehr Gas, fliege vorbei und habe sie nach etwa 20 bis 30 Metern abgeschüttelt. Bei einer dieser Begegnungen mit einem besonders großen Exemplar, dass ich schon aus einiger Entfernung wie einen Pfeil habe heranfliegen sehen, ist die Straße vor mir jedoch tief von Matsch und Spurrillen zerfurcht. Die Angst vor dem Hund siegt intuitiv gegen die Angst vor dem Matsch und ich gebe in die Schikane hinein Gas, das Viech direkt auf den Fersen. Ich schlingere und eiere von einem Straßenrand zum Anderen und verliere fast die Kontrolle, kann mich aber gerade so fangen und komme mit aufgeregt pumpender Pulsader im Hals davon. So nah an einem Sturz war ich auf dieser Fahrt noch nicht. Mistviecher! Ich habe schon einen richtigen Hass entwickelt. [caption id="attachment_1125" align="alignleft" width="320" caption="Uschguli"]Uschguli[/caption] Uschguli, der höchste ganzjährig bewohnte Ort Europas ist das lohnenswerte Ziel meines Umwegs. Beindruckend schön liegt er auf 2100 Metern Höhe am Fuße des Shkharas (5086m), gekennzeichnet durch die markanten Schutztürme der Swanetier. Ich sitze eine lange Zeit auf einer Wiese und beobachte das dörfliche, größtenteils handarbeitliche Treiben. Kartoffeln werden geerntet und Heu für die Kühe im Winter gesammelt. Gesund und kräftig sehen die Menschen hier aus und dass trotz der widrigen klimatischen Bedingungen. Auch ohne Hospitäler oder Ärzte in der Nähe erreichen sie ein sehr hohes Alter. Der Bach plätschert, die Bäume rascheln, ein Lüftchen bringt hin und wieder die Geräusche von Kindern oder Ackerarbeit herüber, Schweinefamilien trotten quiekend vorbei, ein Reiter gallopiert durchs Tal, überall an den Hängen grasen frei laufende Kühe, Schneegipfel ragen im Horizont über mir auf und die Sonne scheint mir warm ins Gesicht. Ich will mich gar nicht mehr wegbewegen, so schön ist es hier. Ich spüre einen tiefen inneren Frieden in mir und ein Lächeln huscht mir übers Gesicht. Ich bin glücklich. [caption id="attachment_1129" align="alignleft" width="320" caption="Oma beim Brot machen"]Oma beim Brot machen[/caption] Man kann hier lediglich bei Gastfamilien unterkommen und unter sehr einfachen Verhältnissen erhalte ich für eine Nacht direkten Einblick ins dörfliche Leben. Die Bettdecke schwer wie Blei, ein Bretterbudenklo mit Loch über dem Bach, das Nachts geradezu brutal kalt ist, ein kleiner Schwarzweißfernseher in einem Zimmer mit Bett und Küchentisch und eisernem Holzofen sind einige Eindrücke. Mit Bratkartoffeln, Tomaten, Ziegenkäse, Brot und Schaschka (einer Art Schnaps) als Abendbrot bin ich mehr als zufrieden und fühle mich herzlichst aufgenommen. Zusammen mit dem Vater der Familie leeren wir die gesamte (kleine) Flasche und trinken auf alles was uns einfällt, auf uns, auf Georgien und Deutschland, auf die Familie und die Eltern, auf die guten Menschen und am Ende sogar auf Merkel. Nach einer Flasche guckt man nicht mehr so genau hin :). Währenddessen knetet die steinalt aussehende Oma Teig für das morgige Brot und das Fernsehen hört gar nicht mehr auf immer wieder Sarkozy bei seinem Besuch in Tiflis zu zeigen. Zu Europa wollen sie gehören die Georgier und ein französicher Staatspräsident im Lande ist ein große Sache. Am Morgen gibt es klare Brühe mit Rinderfleisch und ich lege ohne geringstes schlechtes Gewissen mein Vegetariertum für eine Speise ab. [caption id="attachment_1132" align="alignleft" width="320" caption="Zagar Pass 2"]Zagar Pass 2[/caption] Da ich es über allen Maßen nicht leiden kann, gleiche Wege zurückzufahren, entscheide ich mich den langen, kaum genutzten Weg über die Berge Richtung Osten zu nehmen. Mit Knaksen durchfahre ich die eisbedeckten Pfützen in den Straßenmulden und erlebe bei der Passüberquerung auf 2600 Meter in völliger Einsamkeit und umgeben von Schneegipfeln eine landschaftlich atemberaubende Bergwelt. Es kostet mich einen gesamten Tag, um die 150 Kilometer Bergwege zurück ins Tal zu bewältigen, aber die Anstregung war es allemal Wert. Nach all den Highlights treffe ich in Kutaisi bei teuren Hotels, miserabelsten Service und einem geradezu grottenschlechten Frühstück mit ganzer Kraft auf die nüchterne Realität und reise schleunigst Richtig Tiflis (Tbilisi), meiner letzten Station in Georgien ab. Hier finde ich eine der schönsten Übernachtungsmöglichkeiten (SkadaVeli) bisher. Irakli der Betreiber ist eine immens sprudelnde lokale Wissensquelle und derart zuvorkommend und hilfreich, dass ich mich entscheide 3 Tage hierzubleiben, die Stadt zu geniessen und von den vielen leckeren Speisen zu kosten, die es hier in Georgien gibt. Ach und erst der Wein (der Weltbeste sage die Georgier :) ) und und und. Ich sehe schon, ich hab wieder viel zu viel getippt und noch nicht einmal von dem Ukrainer auf der Tenere erzählt, Kim dem Koreaner, John dem Ami und Kita der Polin, den fehlenden Stoßstangen, den Fruchtbrotständen (Nasuki) am Straßenrand, der Batumi Jazzband im Hostel oder dem Musikfestval in Tiflis. Zu viel gibt es zu berichten. Georgien allein ist natürlich einen ganzen Urlaub wert, wie soll man das schon in einen Beitrag quetschen. Ab übermorgen gehts vermutlich etwas zügiger durch Armenien... naja warten wir mal ab wie zügig ;). [gallery]

9 Antworten zu “Georgien”

  1. Ach schwärm 😉 mal wieder herzlichst gelacht – diese Mistviecher… 😉
    Ich kaufe mir auf reisen niemals wieder einen “marco polo” o.ä. sondern gehe einfach auf migo-travels.fun
    Was für eine Landschaft!!! Was für eine Natur.
    Auch wenn du “fast” alleine mit deiner Yammi unterwegs bist – durch deine Berichte und deine Olympus sind wir bei dir und können durch deine Augen schauen und deine Erlebnisse miterleben. Danke soMuch für deine Mühe und die stetige suche nach einen LAN-Access !!!
    Gute ´Léise weiterhin & Gruß aus gray old fuck Offenbach@_fuck.simple.hotel (only germany)
    Henne

  2. Nachtrag @Slideshow:
    zum Wegschmeißen: Uschguli, Hund – Schein – Sonne 😉

    P.S. die Tenéré sieht von front einfach Affengeil aus…

  3. Schön, dass es gefällt!
    Das mit dem Lan Access gestaltete sich bislang recht einfach. Ich gehe eigentlich schibn davob aus, dass es vorhanden ist. In Uschguli natürlich nicht.
    Mal sehen ob das auch in Zukunft so bleibt. Ich denke im Iran ist es unter Umständer etwas schwieriger, aber vielleicht täusche ich mich. ich werds herausfinden.

  4. Hallo,
    habe mit Gitti deine neuen Erlebnisse genossen, viel gelacht, gestaunt und manchmal konnte ich einen Moment vor Aufregung und Angst nicht weiterlesen. Einfach super!!! Durch deine bildliche und vergleichende Sprache ist alles hautnah nachzuvollziehen. Mehr Tag geht nicht – tolle Formulierung – wurde auch ab und zu unser Motto in Costa Rica. Ich druecke dich ganz doll!!!

  5. Sounds great, M 🙂

  6. wow tolle bilder gordon. klingt nach richtig weit raus aus dem alltag mit den dingen die vom wesentlichen abhalten. der service in den hotels erinnert mich etwas mit lächeln an die leute im hotel in der slowakai und an die friseurin, die ein tag vor der hochzeit der braut absagte (freitag abend) ^^. lass es dir gut gehen. und immer eine handbreit festen boden unter dem gummi.

  7. Beautiful dog – looks like a Kangal to me. Would absolutely love one!!!

  8. Ich habe irgendwann mal ein Bild vom großen Kaukasus im Netz gefunden, seid dem läßt mich diese Region nicht mehr los. Such in jeder freien Minute nach Berichten von Leuten die dort gewesen sind. Fragt man mich heute: “Haßt Du noch ein Ziel in deinem Leben” dann sage ich ja: “Einmal mit meinem Motorrad von Tiflis nach Stepantsminda. Momentan fehlt mir Geld, Gesundheit und Zeit für solch ein Vorhaben. Wenn ich das lese, dann frage ich mich, warum schmeißt du nicht alles hin, schnappst deine V-Strom und fährst da hin?
    Hin und her gerissen zwischen Angst vor dem Ungewissen, Verantwortung für die Familie und Respekt vor dem was das bedeutet, lassen solche Berichte mich zumindest an meinem Vorhaben festhalten.

    Grüße an all Jene die dort gewesen sind und mich mit Bildern und Worten teilhaben lassen
    Andy

  9. Schön, dass es dir Gefallen hat das hier zu lesen. Muss du wirklich alles hinschmeissen, um deinen Traum zu realisieren? Im Grunde ist es nicht so dramatisch. Man kommt schnell dort hin, wenn man die Zähne etwas zusammenbeißt. Um die Benzinkosten kommt man nicht umhin, aber ansonsten kann man die Ausgaben niedrig halten. Es lohnt sich immer sowas anzugehen und zu versuchen das im normalen Alltag unterzubringen. Allein während der Vorbereitung blüht man auf :).

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